Landrätin Irrgang nutzte die Feierstunde, um an den damaligen ungarischen Premierminister Miklós Németh zu erinnern, der Monate vor dem Mauerfall einen liberalen Kurs für sein Land angekündigt hatte. Damit ebnete er den Weg, der am Ende zum Fall des Eisernen Vorhangs führte, den Warschauer Pakt auflöste und den Zerfall der Sowjetunion forcierte. „Die Welt war dabei, sich unfassbar zu verändern. Ein Jahr später sagte Bundeskanzler Helmut Kohl anlässlich der Wiedervereinigung: ‚Es war Ungarn, wo der erste Stein aus der Mauer geschlagen wurde.‘“ Die Landrätin betonte, dass sich auch jetzt die Welt verändere: „Wir sollten heute einmal mehr an Putin appellieren, den verbrecherischen Krieg gegen die Ukraine zu beenden, die Rüstung zum Schweigen zu bringen, den Geist des Kalten Krieges nicht wieder heraufzubeschwören, sondern in Friedensverhandlungen einzutreten.“ Unsere Solidarität gelte den Menschen in der Ukraine, die seit über eineinhalb Jahren um ihr Leben fürchten.
Mit dem Botschafter von Ungarn in Berlin, Dr. Péter Györkös, konnte nicht nur ein ausgewiesener Experte als Referent gewonnen werden, sondern auch ein Zeitzeuge. Dr. Györkös war während der friedlichen Revolution als Deutschlandreferent im Außenministerium Ungarns tätig. Er studierte internationale Beziehungen und verfasste seine Doktorarbeit zum Thema „Pläne für die deutsche Einheit in der Periode der Teilung und der Vereinigung Deutschlands“. Seit 2015 ist er Botschafter in Berlin.
In seinem Vortrag „Der erste Stein aus der Berliner Mauer – Ungarn, Deutschland und Europa 1989 und 2023“ beleuchtete Dr. Györkös die Monate vor und nach dem Mauerfall, welche Rolle Ungarn bei der Grenzöffnung einnahm und welche Auswirkungen all dies auf die Entwicklung Ungarns, Deutschlands und Europas bis heute hat. Er stellte die Bedeutung der Wiedervereinigung auch für Ungarn heraus. Ohne die deutsche Einheit hätte auch Ungarn keine Chance gehabt, seine Souveränität zurückzuerlangen, betonte er. Dr. Györkös rechnete es der deutschen Politikelite an, dass danach die Vereinigung Europas auf die Tagesordnung gesetzt worden sei. „So ist der Einheitstag nicht nur ein deutscher, sondern auch ein ungarischer und europäischer Feiertag“, formulierte der ungarische Botschafter. Die Rolle Ungarns im Jahre 1989 sei allerdings nicht entscheidend gewesen. Das größere Tor in der Mauer hätten die Bürgerinnen und Bürger in Dresden und Leipzig aufgemacht. Dr. Györkös ging auch auf die heutige Rolle Ungarns in der EU ein. Ungarn sei gesellschaftspolitisch konservativ. Man wolle Einheit und Vielfalt, aber keinen Einheitsbrei und keinen Bundesstaat Europa.
Auch der IGCS-Vorsitzende Dirk Pälmer, Oberst der Reserve, würdigte in seinem Grußwort die Bedeutung Ungarns und erinnerte daran, dass Ungarn in der Nacht vom 10. auf den 11. September 1989 seine Grenzen nach Österreich gänzlich öffnete, nachdem bereits vier Wochen zuvor, am 19. August, circa 600 DDR-Bürger im Rahmen des „Paneuropäischen Picknicks“ nach Österreich flüchteten. „Der Stein war ins Rollen gekommen und die Lawine der Freiheit und Demokratie ließ sich nicht mehr aufhalten“, so Pälmer.
Durch die Feierstunde führte Moderator Jochen Siering, Fregattenkapitän der Reserve. Den musikalischen Rahmen gestaltete Arsen Ter-Tatshatyan, Musiker und Lehrer der Conrad-Hansen-Musikschule der Stadt Lippstadt.
Mit dem Festakt zum Tag der Deutschen Einheit setzt der Kreis Soest eine lange Tradition fort. Rednerinnen und Redner, Zeitzeugen und Schülergruppen prägen das Programm der Veranstaltungen seit nunmehr 16 Jahren und betrachten die historische Wende aus verschiedenen Perspektiven.